Verbotener Weichmacher im Urin von Kita-Kindern: Ursache Sonnencreme?

Stand:
Im Urin von Kindergartenkindern aus NRW wurde erneut ein seit 2019 in Kosmetik verbotener Weichmacher nachgewiesen. Als eine Quelle wurden Sonnenschutzmittel mit einem bestimmten UV-Filter, der mit diesem Weichmacher verunreinigt sein kann, sicher identifiziert. Der Weichmacher kann die Fruchtbarkeit schädigen.
Ein Laborant träufelt eine Flüssigkeit in ein kleines Gefäß

Das Wichtigste in Kürze:

  • Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) NRW verglich Urinproben von Kindergartenkindern aus den Jahren 2017/2018 mit Proben von 2020/2021 verglichen. Innerhalb von 3 Jahren stieg der Anteil der belasteten Proben von 26 auf 61 Prozent.
  • 2023/2024 wurde in 55 Prozent der 250 untersuchten Kinderurinproben MnHexP nachgewiesen. 
  • Kosmetikprodukte wie Sonnencreme, Anti-Aging-Produkte, Parfüms und Tagescremes können zu der Belastung von Kindern und Erwachsenen mit dem verbotenen Weichmacher beitragen, wenn der in solchen Produkten verwendete UV-Filter DHHB mit dem Weichmacher verunreinigt ist.
  • Sonnenschutzmittel sind nur die drittbeste Möglichkeit, sich zu schützen, hautbedeckende Kleidung und das Meiden intensiver Sonnenstrahlung, etwa zur Mittagszeit, sind wirkungsvoller.
  • Außerdem könnten auch Spielzeuge aus PVC, Kinderkleidung aus Asien oder Hausstaub möglicherweise zu einer Belastung beitragen.
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Weichmacher bei Kindern und Erwachsenen nachgewiesen

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW) verglich Urinproben von jeweils 250 Kindergartenkindern aus den Jahren 2017/2018 mit Proben von 2020/2021. Ergebnis: In vielen Urinproben wurde MnHexP (Monohexylphthalat) nachgewiesen. Der Anteil der Proben, die mit dem verbotenen Weichmacher MnHexP belastet waren, stieg in dem Zeitraum von 26 auf 61 Prozent.

MnHexP kann, wie viele andere Phthalat-Weichmacher auch, die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen, zu Fehlbildungen der Geschlechtsorgane führen oder sogar unfruchtbar machen. Außerdem kann er das Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und Fettleibigkeit erhöhen.

Im Vergleich haben sich die Messwerte bei den höchstbelasteten Kindern in etwa verzehnfacht: 2017/18 wurde eine MnHexP-Konzentration von 0,8 Mikrogramm pro Liter gemessen. 2020/21 waren es 8,7 Mikrogramm pro Liter. Bei der Auswertung zeigte sich eine Belastung in ganz Nordrhein-Westfalen. Lokale Ursachen können somit ausgeschlossen werden.

In weiteren 250 Kinderurinproben von 2023/2024 wurde bei 55 Prozent der Proben MnHexP nachgewiesen. Weitere Informationen dazu finden Sie beim LANUV.  

MnHexP war laut German Environmental Survey (GerES ) VI (Mai 2023 bis Juni 2024) bundesweit in 29 Prozent der rund 1.600 untersuchten Urinproben von Erwachsenen zwischen 18 und 79 Jahren nachweisbar. Endergebnisse der Studie werden im Laufe des Jahres 2025 erwartet. 

Was könnten mögliche Quellen für die Phthalat-Belastung sein?

Sonnencreme

MnHexP kann im Körper unter anderem aus dem Weichmacher DnHexP (Dihexylphthalat) entstehen. In Kosmetik ist der Einsatz dieses Weichmachers verboten. Dieser kann auch als Nebenprodukt bei der Herstellung des UV-Filters DHHB (Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate) entstehen. Daher untersuchte das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Karlsruhe 57 Sonnenschutzprodukte aus den Jahren 2020 bis 2023 auf ihren DnHexP-Gehalt. Der verbotene Weichmacher wurde in 21 von 40 Sonnencremes, die DHHB als UV-Filter enthielten, nachgewiesen. In den 17 Sonnencremes ohne DHHB war der Weichmacher nicht nachweisbar.

Die Zahl der Sonnenschutzmittel mit diesem UV-Filter stieg in den letzten Jahren stark an, weil einige Hersteller den in Verruf geratenen UV-Filter Oxybenzon durch DHHB ersetzten. DHHB kann in Sonnenschutzmitteln, auch in solchen für Babys und Kinder, in Gesichtscremes, Anti-Aging-Kosmetik und Parfüms enthalten sein.

Sowohl das Umweltbundesamt als auch das LANUV sehen einen Zusammenhang zwischen der gemessenen Belastung und der Verwendung von kosmetischen Sonnenschutzmitteln.

Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen

Laut der Datenbank des Food Packaging Forums wurde DnHxP vor allem außerhalb der EU manchmal in Materialien mit Lebensmittelkontakt nachgewiesen, wie zum Beispiel in Verpackungsartikeln aus Polymilchsäure (PLA), in Klebeetiketten für Obst und Gemüse, in PET-Flaschen und Lebensmittelbehältern aus Polypropylen, Polystyrol und Papier.

Hausstaub, Spielzeug aus PVC, Kinderkleidung aus Asien

Das Bundesinstitut für Risikobewertung ermittelt weitere mögliche Quellen wie

  • Hausstaub
  • Spielzeug aus PVC
  • Kinderkleidung aus asiatischen Ländern für Vorschulkinder

Was kann ich als Verbraucher:in tun, um mich vor einer möglichen Belastung durch Weichmacher zu schützen?

Mit diesen Maßnahmen können Sie eine Belastung mit MnHexP oder anderen Phthalat-Weichmachern reduzieren:

  • Eines vorweg: Sie sollten sich auf jeden Fall vor intensiver Sonnenstrahlung  schützen. Das erreichen Sie sicherer und besser durch Kleidung als mit kosmetischen Sonnenschutzmitteln. Nur unbedeckte Hautflächen sollten Sie dann noch mit Sonnencreme schützen. Außerdem sollten Sie intensive Sonnenstrahlung rund um die Mittagszeit meiden. Weitere Informationen zu Sonnenschutzmitteln und Sonnenschutzbekleidung finden Sie in den verlinkten Beiträgen.
  • Wenn Sie vorsorglich auf Sonnenschutzmittel mit DHHB verzichten möchten, achten Sie darauf, dass "Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate" in der Inhaltsstoffliste nicht genannt wird. Unter "Ingredients" müssen alle Inhaltsstoffe auf der Packung aufgelistet werden. In den Test-Tabellen der Stiftung Warentest erkennen Sie DHHB-haltige Sonnencremes an einem "j" in der Zeile "Sonnenschutzfilter".
  • Die Stiftung Warentest und Öko-Test haben in neueren Sonnencreme-Test auch auf den verbotenen Weichmacher getestet, so dass sich anhand der Ergebnisse gezielt Sonnenschutzmittel auswählen lassen, die nicht mit dem Weichmacher verunreinigt sind.
  • In zertifizierter Naturkosmetik sind organisch-chemische UV-Filter wie DHHB verboten. Welche davon einen guten UV-Schutz bieten, zeigen die Untersuchungen der Stiftung Warentest.
  • Vermeiden Sie außerdem den Kunststoff Weich-PVC. Besonders Billig-Produkte aus Asien enthalten häufiger in der EU verbotene Weichmacher. Auf Online-Plattformen werden solche Produkte oft direkt von Händlern aus China angeboten.
  • Weiches PVC wird zum Beispiel in Spielzeug sowie in Vinyltapeten und in elastischen Bodenbelägen verwendet.
  • Lassen Sie Kinder nicht mit älterem Spielzeug aus weichem PVC spielen, da es noch bestimmte Phthalat-Weichmacher enthalten kann, die 2007 verboten wurden.
  • Kaufen Sie möglichst wenig verarbeitete, sondern stattdessen unverarbeitete Lebensmittel und bereiten Sie diese selbst zu. Eine US-amerikanische Studie  an 1.031 Schwangeren zeigte, dass ein hoher Verzehr von stark verarbeiteten Lebensmitteln und Fast-Food zu höheren Phthalat-Werten im Urin führte, wohin gegen ein hoher Verzehr gering verarbeiteter Lebensmittel zu niedrigeren Weichmacher-Werten führte. Die Weichwacher können bei der Verarbeitung oder durch die Verpackungen in die Lebensmittel gelangt sein.

Aktuelle Untersuchungen: Welche Produkte sind mit Weichmachern belastet, welche nicht?

Die chemischen Untersuchungsämter in Nordrhein-Westfalen untersuchten 42 Sonnenschutzmittel. In keiner Probe wurde die maximal zulässige Konzentration von zehn Prozent des UV-Filters DHHB überschritten. Etwa drei Viertel der Sonnenschutzmittel enthielten den UV-Filter DHHB. 

Zusätzlich wurden zwölf Proben des kosmetischen Rohstoffes DHHB analysiert. In allen Proben war der verbotene Weichmacher in unterschiedlich hohen Konzentrationen nachweisbar. 

Das Chemische Untersuchungsamt Karlsruhe untersuchte 57 Sonnenschutzprodukte aus den Jahren 2020 bis 2023 und wies in 21 Proben den verbotenen Weichmacher nach. Da die betroffenen Sonnencremes im Untersuchungsbericht nicht genannt wurden, können Verbraucher:innen nicht erkennen, welche Produkte aus dem Vorjahr mit DnHexP belastet sind. Auf Nummer sicher gehen Sie, wenn Sie Sonnencreme mit DHHB, erkennbar an "Diethylamino Hydroxybenzoyl Hexyl Benzoate" in der Inhaltsstoffliste, nicht mehr verwenden.

Öko-Test untersuchte 2024 Sonnencremes für Kinder auf verbotene Weichmacher und speziell auf DnHexP.  In vier von elf Sonnencremes mit dem UV-Filter DHHB war die verbotene Substanz zum Teil nur in Spuren nachweisbar. 

Die Stiftung Warentest ließ 2024 Sonnenschutzmittel für Erwachsene prüfen und wies in vier Produkten DnHexP nach.

Was sagen die gemessenen Werte von MnHexP über mögliche Gesundheitsrisiken aus?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) veröffentlichte im März 2024 eine Stellungnahme zu den im Urin gemessenen Werten und sieht "keinen Anlass für eine erhöhte Besorgnis". 

Das BfR wertete weitere Tierversuchsstudien zu DnHexP aus und leitete daraus einen Wert für die vorläufige tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) für den Menschen ab. Daraus ergab sich, dass der vorläufige TDI bei den betroffenen Kindern und Erwachsenen nur zu einem sehr geringen Teil ausgeschöpft wird. Dennoch wird MnHexP als Substanz eingestuft, die wegen ihrer fortpflanzungsgefährdenden Wirkung nicht im Körper vorhanden sein sollte.

Der Human-Biomonitoring-Wert I, kurz HBM-I, ist ein gesundheitlicher Beurteilungswert, bei dessen Unterschreitung nach aktuellem Kenntnisstand keine Gesundheitsschäden auftreten. Für MnHexP wurde ein HBM-I-Wert von 60 Mikrogramm pro Liter abgeleitet. Dieser Wert wurde in den Proben aus den Jahren 2023 und 2024 von zwei der 250 in NRW untersuchten Kindergartenkinder überschritten.

Es handelt sich bei der Bewertung des BfR und bei dem HBM-I-Wert lediglich um Einzelstoffbetrachtungen. Die derzeit vorliegende Gesamtbelastung der Bevölkerung mit unterschiedlichen Phthalat-Weichmachern und anderen hormonsystemschädigenden Stoffen wurde weder bei der Bewertung durch das BfR noch bei der Einordnung anhand des neu abgeleiteten gesundheitlichen Beurteilungswerts berücksichtigt.

Studien an großen Bevölkerungsgruppen und Tierversuchsstudien zeigen aber, dass es nicht ausreicht, nur einen einzigen Weichmacher zu betrachten, sondern dass sich die schädlichen Effekte einiger Phthalate-Weichmacher summieren können. So ergab eine Studie von 2022, dass für 17 Prozent der untersuchten Kinder und Jugendlichen bereits das Risiko einer Gesundheitsschädigung besteht, wenn man nicht nur einen einzelnen Phthalat-Weichmacher, sondern die Gesamtbelastung mit fünf Weichmachern betrachtet.

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